Gastbeitrag von Hans-Peter Schaub

Auszug aus "Landschaftsfotografie - Die große Fotoschule"

© Hans-Peter Schaub / Rheinwerk Verlag (für alle Bilder in diesem Beitrag)

Während es bei Verwendung eines Teleobjektivs (kleines Bild) zu einer starken Kompression kommt, dehnt die Weitwinkelaufnahme die Landschaft und lässt die Abstände zwischen den Bäumen größer wirken. Was du außerdem bei Weitwinkelaufnahmen in der Natur beachten solltest, erfährst du im folgenden Auszug aus "Landschaftsfotografie - Die große Fotoschule". Mehr Informationen zum Buch findest du unten auf dieser Seite.

Landschaftsfotografie: Mit Brennweiten gestalten

/ / P+A-Blog

Weitwinkelobjektive gelten gemeinhin als erste Wahl, wenn es um die Landschaftsfotografie geht. Mit ihnen kommt viel Motiv auf ein Bild, was eine verbreitete Absicht ist. Gerade das aber führt beim späteren Betrachten der Bilder nicht selten zu Enttäuschung. Die große Menge an Linien, Formen und Strukturen sowie die aufgrund des zumeist geringen Abbildungsmaßstabes schon bei offener Blende große Schärfentiefe können es dem Betrachter schwer machen, zu erkennen, was das eigentliche Motiv sein soll. Gestaltendes Ordnen ist daher in der Weitwinkelfotografie entscheidend, um die Bildaussage klar und deutlich zu vermitteln.

Tücken des Weitwinkels

Eine tolle Landschaft macht also nicht zwangsläufig auch ein tolles Bild. Um mein Staunen im Angesicht der Szenerie so in einem zweidimensionalen Bild umzusetzen, dass andere meine Empfindungen später zumindest ansatzweise nachvollziehen können, bedarf es einer überlegten Bildgestaltung. Diese hat gerade bei der Verwendung von Weitwinkelobjektiven ihre Tücken.

Mit Teleobjektiven ist es relativ einfach, Störendes durch die Wahl eines engen Ausschnitts auszublenden oder durch eine offene Blende in Unschärfe verschwimmen zu lassen. Weitwinkelobjektive dagegen erfassen ein sehr großes Bildfeld und damit oft Dinge, die wenig zur eigentlichen Bildaussage beitragen oder, schlimmer, vom Motiv ablenken und den Betrachter damit verwirren.

Auch das Arbeiten mit selektiver Schärfe, also mit möglichst geringer Schärfentiefe, ist allenfalls im Nahbereich möglich, sieht man von besonders lichtstarken Ausführungen wie etwa einem 1,4/20-mm- oder 1,4/35-mm-Kleinbildobjektiv ab. Selbst bei Blende 2,8 werden bei einer Brennweite von 28 mm Hintergrundstrukturen meist noch so deutlich wiedergegeben, dass sie im Bild für Unruhe sorgen können.

Bei Kameras mit Sensoren im APS-C-, FourThirds- oder 1-Zoll-Format ist es noch bedeutend schwieriger, das Bild mit einer geringen Schärfentiefe zu gestalten, als bei Kameras mit Sensoren im Kleinbildformat. Bei digitalen Kompaktkameras mit ihren winzigen Sensoren sorgt die Weitwinkelstellung daher erst recht schon bei offener Blende für eine praktisch durchgehende Schärfentiefe.

Vordergrund macht Bild gesund: Zumindest bei der Fotografie mit Weitwinkelobjektiven ist das eine hilfreiche Eselsbrücke. Durch die Betonung und die große Darstellung der im Vordergrund befindlichen Objekte werden diese zum eindeutigen Blickfang und machen allein so schon deutlich, was dem Fotografen wichtig war. Ausgehend vom Vordergrund kann sich der Betrachter dann auch ein chaotisches Bild ganz gut erschließen.
12 mm | FourThirds | 1/40 s | f/8 | ISO 200 | Stativ

Aufgeräumte Bilder

Es ist daher unerlässlich, dass du dein Bild aufräumst.  Ein Betrachter sollte spätestens beim zweiten Hinsehen erkennen, was du abbilden wolltest. Nun kann und sollte das »Aufräumen« nicht im wörtlichen Sinne verstanden werden, indem du etwa mit der sprichwörtlichen »Axt im Walde« störendes Gehölz beseitigst.

Analysiere stattdessen das im Sucher erfasste Motiv, und reduziere es gedanklich auf die grafischen Grundelemente, die Linien, Formen und Flächen. Außerdem lohnt es, zu bedenken, wie du den Betrachter über die Anordnung der Bildelemente in das Bild hineinführen und über das Gefüge der Linien und Formen Spannung aufbauen kannst.

Da sich die Motive selbst meist nicht ohne Weiteres in eine gestalterisch ideale Anordnung begeben, müssen wir uns selbst bewegen und den optimalen Standpunkt buchstäblich erlaufen. Es gilt, Standpunkt und Perspektive so lange zu wechseln, bis die ideale Linienführung im Sucher erscheint.

Zuweilen genügt es, wenn du einen Schritt nach links oder rechts gehst oder dich einfach hinhockst. Manchmal aber, in bergigem Gelände etwa, sind solche Positionswechsel schwierig. Es kann auch vorkommen, dass du das im Kopf bereits fertige Bild nicht in eine befriedigende reale Aufnahme umsetzen kannst und daher gezwungen bist, aufzugeben. Wenn du dir das ehrlich eingestehst, kannst du zumindest Platz auf der Speicherkarte sparen.

Gestaffelte Tiefe: Eine interessante Lichtstimmung im schweizerischen Engadin. Mit einem starken Weitwinkelobjektiv konnte ich sowohl den eindrucksvollen Berg mit den Wolken als auch die schön ausgeleuchteten Bäume einfangen. Es entstand ein ausgewogen gestaffeltes Bild, das einen deutlichen Tiefeneindruck vermittelt.
21 mm | KB | 1/100 s | f/13 | ISO 100 | −1,3 LW | Grauverlaufsfilter 0,9 ND

Bilder gliedern

Viele gelungene Weitwinkelbilder erzielen ihre Wirkung aufgrund einer klaren Staffelung in Vorder-, Mittel- und Hintergrund. Der Vordergrund wird dabei oft vom Hauptmotiv besetzt, während Mittel- und Hintergrund dem Betrachter wichtige Informationen über die Umgebung des Motivs vermitteln. Solche Aufnahmen können, dank ihres hohen Informationsgehalts, komplette Geschichten erzählen.

Die meisten Kameras erlauben es, sowohl im Sucher als auch auf dem Display ein Gitterraster einzublenden. Das hilft Ihnen nicht nur, einen schiefen Horizont zu vermeiden, sondern unterstützt Sie auch beim Gestalten. Machen Sie allerdings nicht den Fehler, Bilder stets streng anhand des Rasters zu gestalten, das sorgt auf Dauer für Langeweile und ermüdet selbst enthusiastische Betrachter.

Aufgeräumtes Felsenchaos: Gesteinsformationen im Barranco de los Angustias auf der Kanareninsel La Palma. Die helle Pfütze ist der erste Punkt, den man bei der Betrachtung des Bildes erfasst. Das extreme Weitwinkel dehnt die Diagonale des kleinen Rinnsals stark. Dadurch wird das Bild geteilt und der Blick durch den interessant strukturierten Mittelgrund bis zum Hintergrund rechts oben im Bild geführt. Auch auf den ersten Blick völlig verwirrende Szenen lassen sich gestalterisch schlüssig ordnen.
15 mm (Fisheye) | KB | 1/50 s | f/11 | ISO 100 | −0,3 LW

Mehr erfahren

P.S.: Du möchtest mehr über die Landschaftsfotografie mit kurzen Brennweiten erfahren? Dann ist Hans-Peter Schaubs Workshop “Weitwinkel – Gestaltung mit kurzen Brennweiten” am Sonntag, 13. Juni 2021, im Landschaftspark Duisburg-Nord das Richtige für dich.

Mit Deinem Klick auf einen dieser Social Media Buttons willigst Du darin ein, dass Deine Daten gemäß der Datenschutzerklärung an die Anbieter dieser sozialen Netzwerke übermittelt und dort Deinem Account zugeordnet werden.

Landschaftsfotografie

Die große Fotoschule

Rheinwerk Verlag, 319 Seiten, gebunden,
ISBN 978-3-8362-7161-5, 39,90 Euro

Entdecke eine neue Art der Landschaftsfotografie: Beeindruckende Weite und romantisches Idyll treffen auf imposante Industrie und reduzierte Klarheit. Hans-Peter Schaub nimmt dich mit auf eine Reise zu individuell gestalteten Landschaftsaufnahmen: Erzeuge Spannung durch Gegensätze, Spiele mit Farbe, Licht und Form, entdecke neue Perspektiven. Exkurse und Praxistipps informieren dich über die Aufnahmetechnik und die Umsetzung des Gelernten in verschiedenen Motivsituationen. Lass dich inspirieren, und finde deinen ganz persönlichen Einstieg in das Genre!

Das Buch kannst du unter anderem hier bestellen.

Hans-Peter Schaub

Hans-Peter Schaub ist promovierter Biologe, Fotograf, Fotojournalist und seit 2001 Chefredakteur der NaturFoto. Er ist Autor von Lehrbüchern und Artikeln über die Naturfotografie, leitet Workshops zu naturfotografischen Themen, macht Filme für FotoTV und präsentiert seine Arbeiten in Ausstellungen und bei Vorträgen. Die Fotografie und sein großes Interesse für die Natur verbinden sich so zu seinem ganz persönlichen Traumberuf.

Hier findest du aktuelle Workshops mit Hans-Peter Schaub.

TOP