Abgefahren – ein Gastbeitrag von Andreas Pröve über seine Reise durch Myanmar
Auf eigene Faust durch Myanmar reisen ist nicht einfach. Viele Gegenden sind aufgrund ethnischer Konflikte touristisches Sperrgebiet und Hotelbesitzer benötigen eine Ausländerlizenz. Diese Bedingungen erschwerten meine Reiseplanung erheblich, auch, weil die Distanz zwischen zwei legalen Unterkünften oft weit über 100 Kilometer betrug. Mehr, als ich in Handarbeit mit dem Rollstuhl schaffen konnte.
Ich musste mich also motorisieren. Doch nichts, was ich auf Erfindermessen oder im world wide web fand, eignete sich für mein Vorhaben. Schließlich wollte ich die eierlegenden Wollmilchsau. Einen Motor, der mich auch über Schotter und Sandwege schieben konnte, 35 km/h auf die Straße brachte und sich blitzschnell abnehmen, und als Gepäck aufgeben ließ. Was also lag näher als selbst etwas zu konstruieren.
Das Ergebnis verschaffte mir ein berauschendes Gefühl von Freiheit, das ich seit meiner letzten Motorradfahrt vor 35 Jahren so nie wieder erlebt hatte.
Und doch diente alles nur einem Zweck: Myanmar auf höchst individuelle Weise zu bereisen. Wenn ich aufbreche, will ich kein vorgekautes Menü vom Reiseveranstalter, will mich nicht bereisen lassen, sondern Schicksal spielen. Losfahren, ohne zu wissen, wo und wie der Tag endet, mich dem Land aussetzen und ihm mein Herz öffnen. Dieses Reisen fesselt, ist spannend wie ein Hitchcock-Film, überrascht hinter jeder Straßenbiegung, und ist unerhört billig. Leute wie ich sind der Alptraum aller Reisebüros, denn unser Geld bleibt, wo wir es ausgeben.
Myanmar ist im Aufbruch. Seit meiner ersten Reise durch Burma 1985 hat sich hier vieles verändert. Selbst der Name und die Hauptstadt sind nicht mehr dieselben. Das Land nennt sich nun Myanmar mit einer künstlichen Metropole namens Naypyidaw. So leicht lässt sich Yangon, das ehemalige Rangoon, allerdings nicht die Butter vom Brot nehmen. Die heimliche Hauptstadt ist sie nach wie vor. In nahezu jedem Hotel bekommt man mit dem Zimmerschlüssel einen w-lan Code, um sich mit dem Rest der Welt zu vernetzen und wer zur falschen Zeit am Flughafen landet, muss im Stau viel Geduld aufbringen.
Nur die Menschen, deren liebenswertes Naturell immer genug Material hergab, meine Tagebücher zu füllen, sind die gleichen geblieben. Für sie war das Leben unter der Knute der Junta nie einfach. Nichtsdestotrotz herrscht in der Gesellschaft ein positives Grundrauschen. Das burmesische Lächeln, das jeden Griesgram von seinem Leiden befreit, jedem Trauerkloß die Sonne ins Gesicht zaubert und den Burmesen wohl nur in den Genen stecken kann – dieses Lächeln haben sie sich von ihrer Militärregierung nicht nehmen lassen. Oft aber wird im buddhistischen Asien mit einem freundlichen Gesicht auch bitterste Not weggelächelt. Neu ist der Rassismus, der die dunkle Seite einer im Grunde friedlichen Religion zeigt. Mönche treiben heute mit Hasspredigten muslimische Rohingyas aus dem Land. Aung San Suu Kyi und die Junta schauen selten gleichgesinnt zu.
Ein Land im Goldrausch
Nicht alles, was in Myanmar glänzt ist Gold. Handelt es sich allerdings um Orte besonderer Spiritualität, wird tief in die Tasche gegriffen. Die wichtigsten Heiligtümer des Landes mit dem wertvollen Metall zu bekleben sind wirkungsvolle Beiträge, um das eigene Karma zu polieren. Dem fünf Meter hohen Bronze-Buddha im Mahamuni Tempel von Mandalay wird diesbezüglich derart viel Macht zugesprochen, dass er unter den vielen Schichten Gold, das unablässig aufgeklebt wird, nahezu Konturlos geworden ist.
Ganze Felsen werden damit beklebt und selbst das Wahrzeichen Myanmars, die Schwedagon Pagode in Yangon, hundert Meter hoch, versteckt sich unter einer 60 Tonnen schweren Goldschicht. Sie ist mit Edelsteinen und Diamanten besetzt.
Gleichzeitig klaffen riesige Löcher zwischen den Gehwegplatten der Stadt. Nicht von der Kanalisation verschluckt werden kostet hier viel Aufmerksamkeit. Für Sehbehinderte ein Horror.
Solche Hindernisse kompensiert die Bevölkerung mit Hilfsbereitschaft. Die beherrschen sie meisterlich, ohne Berührungsängste. Rätselhaft, wo die Burmesen das gelernt haben, denn viele Rollifahrer sind mir nicht begegnet. Wenn Burma auch nicht ganz Barrierefrei ist, behindertenfreundlich ist das Volk mit Sicherheit.
Nur die australischen Betreiber der Heißluftballons in der Pagodenstadt Bagan, eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten, sahen das anders. Nein Rollstuhlfahrer dürfen nicht Ballon fahren. Der Wucherpreis von 400 Dollar für gut 30 Minuten im Korb machte es mir leicht, das Fahrverbot zu verkraften. Obendrein hatte ich noch einen Joker im Ärmel. Mit meiner Drohne und einer Videoübertragung war ich mein eigener Pilot.