Treuer Begleiter – Andreas Pröve in China
Von Katharina Maksym / Grenzgang
Andreas Pröve sucht auf seinen waghalsigen Abenteuer-Reisen in den verwinkeltesten Ecken unserer Erde immer wieder die Grenze des Machbaren. Seine Querschnittslähmung macht das Reisen im Himalaya, durch die Wüste oder auf indischen Straßen nicht leichter – aber dafür umso spannender und intensiver. Aufgeben ist für Pröve nie eine Option, wodurch es ihm immer wieder gelingt, Grenzen zu verschieben. So entstehen Gelegenheiten, Land und Leute aus einem ganz anderen Blickwinkel intensiv kennen zu lernen. Auch Tiere zeigen sich offenbar von Pröves Art zu Reisen beeindruckt: Im chinesischen Zhongdian schaut er sich gerade ein Kloster mit riesigen Gebetsmühlen inmitten der Himalaya-Kulisse an, als plötzlich ein kleiner, putziger Mops neben ihm sitzt und ihn mit seinen großen Augen anstarrt. Pröves Antwort: ein skeptischer Blick, hat er doch ein angespanntes Verhältnis zu Hunden aufgebaut. Seine Kopfhöhe von 1,40 Meter ist der Grund dafür und natürlich die Tatsache, dass er seine Arme zum Fortbewegen seines Rollstuhls dringend nötig hat und er unter keinen Umständen zulassen kann, dass selbst der liebste Freund des Menschen sich darin festbeißt.
Davon scheint dieser kleine Mops-Tibet-Spaniel-Mischling nichts zu spüren. Während Pröve auf dem Dorfplatz Gebetsfahnen fotografiert, schaut der kleine Mischmops unentwegt zu ihm hoch und weicht nicht von seiner Seite. Es geht nach rechts, geradeaus, um Gebetsfahnen herum, um die Ecke – und der Mops? Er folgt ihm, ohne auch nur einen Mucks von sich zu geben – kein Jammern, kein Bellen. Pröves Taktik: Ignoranz – einfach nicht anschauen und nicht ansprechen. Dies scheint den Vierbeiner aber ganz und gar nicht zu beeindrucken, den ganzen Tag über verfolgt er treu und unbeeindruckt Pröves Weg. Was will er mit seiner Distanzlosigkeit bloß sagen? Nimmt er Pröves Signale nicht wahr? Will er seinen Auserkorenen vor seinen Artgenossen beschützen? Sucht er neue Freunde? Ist es unsterbliche Liebe auf den ersten Blick? Letzteres scheint der Fall zu sein. Er benimmt sich, als gehörte er ab jetzt zu ihm. Egal wohin, er klebt an ihm, macht jede Drehung des Rollstuhls mit, dass es Pröve schwer fällt, ihm nicht über die Füße zu fahren. Der Kleine hat sich zu Pröves Herrchen gemacht, ohne zu fragen.
Pröve rollt weiter durch die schmalen Gassen, an Gebetsmühlen und betenden Pilgern vorbei, schaut sich die schönen Häuser an und ignoriert seinen Begleiter weiter. Irgendwann wirkt es, weg ist er. Erleichtert, aber auch etwas verwirrt über diese merkwürdige Begegnung, rollt Pröve am frühen Abend zum Hotel. An der Rezeption wird er heute besonders lächelnd und freundlich begrüßt, sie scheinen sich schon beinahe über ihn zu amüsieren – was ist passiert? Im Aufzug dann dieses Geräusch: Ein flehendes Fiepen unter dem Rollstuhl. Da ist er wieder – oder immer noch? Er war nie weg, hat sich offenbar unter dem Rollstuhl versteckt! So sitzt er also nun da, in Pröves Zimmer auf dem Bettvorleger, fiept ihn an und lässt ihn nicht mehr aus den Augen. „Was soll ich denn bloß mit dir machen, ich kann dich doch nicht mitnehmen“, versucht Pröve ihm zu erklären. Der Mops fiept Unverständliches zurück. Der Kleine ist durchaus niedlich und hätte vermutlich das Zeug dazu, Pröve mit seinen Artgenossen zu versöhnen. Aber Mitnehmen ist keine Option. Auch wenn Pröve ihn wirklich zu mögen beginnt: Ihre Wege müssen sich trennen. Aber wie ist ein Abschied ohne Herzschmerz möglich? Der Trick ist gemein, aber anders geht es nicht: Am nächsten Tag rollt er mit seinem Hündchen unter dem Rollstuhl zum Markt, dort, wo sich die ganzen Straßenköter herumtreiben, die ihm am Tag zuvor aufgefallen waren. Auch Möpse vom Kaliber seines treuen Begleiters sind dabei. Vielleicht ist das was für ihn? Tatsächlich wagt er sich aus seinem Versteck, ist abgelenkt durch den Geschlechtstrieb der Streuner und merkt nicht, wie Pröve hinter der nächsten Straßenecke verschwindet. Erleichtert rollt er zum Hotel, plant, sofort alles zu packen und umzuziehen, bevor sich der Mops erinnert, wo er wohnt. Aber neugierig ist er doch, rollt noch einmal zurück und schaut vorsichtig um die Ecke. Dort, wo er ihn verlassen hat, steht der Kleine, dreht suchend den Kopf und fiept flehentlich sein trauriges Lied. Jetzt bricht es ihm fast das Herz
Fotos: Andreas Pröve