Lost Places – das sind diese vergessenen Orte, zu denen nur wenige Zugang haben und die meist von einer schon fast mythischen Aura umweht werden. Auf der letzten Photo+Adventure konnten wir euch auch exklusiv drei dieser Plätze präsentieren. Davon einmal ab scheint es übrigens teilweise schon fast so etwas wie einen Lost Places-Tourismus zu geben, es gibt „lost places“ (wenn man sie denn noch so nennen kann), wo ganze „Reisegruppen“ hingekarrt werden und alle mehr oder weniger dasselbe Motiv einfangen. Nun ja.
Welche Faszination diese Orte ausstrahlen können, beweist die Lost Places Fotoausstellung von UrbEXPO in Bochum, die ich mir natürlich nicht entgehen lassen wollte. Kurz vor Toresschluss (30.08.) bin ich noch hineingehuscht und muss sagen ich bin froh, dass ich sie nicht verpasst habe!
Was passiert, wenn die Zivilisation vergessen wird? Wenn Fabriken stillgelegt werden, Autos auf ihren Friedhöfen verrotten, Durchgänge zugemauert sind, Kirchen ihre Bestimmung verlieren, Villen leer zurück gelassen werden? Was wird aus den Orten, die aus verschiedenen Gründen ins Abseits der gesellschaftlichen Wahrnehmung gerutscht sind, wenn sich das Leben an einer anderen Stelle weiter entwickelt? Orte, einst der Stolz ihrer Eigentümer oder stadtbildprägend, die vergessen werden?
Graffitis verblassen, bröckelnde Mauern werden von Pflanzen erobert, Staub deckt zu. Diese Orte, zur Stille verdammt, versteckt in den Tiefen der Städte, scheinen fast vergessen. Allerdings nur fast. Die Faszination des Geheimnisvollen, die Suche nach dem einzigartigen, neuen Motiv, und die pure Abenteuerlust treibt Fotografen oftmals in die Tiefen dieser sogenannten Lost Places. Und was sie dort entdecken, die Ästhetik des Verfalls, teilen sie mit uns. Bereits zum vierten Mal fand die Ausstellung UrbEXPO in Bochum statt. 21 Fotografen aus vier Ländern dokumentieren mit 69 großformatigen Aufnahmen (ob auf Leinwand, hinter Glas, stilvoll im Rahmen mit Passepartout oder auf Aludibondplatte) diesen besonderen Charme der unterschiedlichen Locations.
Und das Ganze passender Weise in den Räumen der stillgelegten und ausgedienten Schlegel-Brauerei. UrbEXPO bedeutet so viel wie „Erkundung des städtischen Raums“ bzw. Erkundung von Lost Places. Den Künstlern gelingt es, wie ich finde, auf eindrucksvolle Art, diesen stillen, eigentlich für tot erklärten Orten, neues Leben einzuhauchen. Die alten Mauern, Treppen, bröckelnde Hausflure, die staubbedeckten Maschinen und das alte Klavier werden für einen kurzen Moment aufgedeckt und erscheinen fast schon wieder, auf ihre Art, lebendig. Der zwangsläufige Verfall wird in perfekt gewählten Bildausschnitten betont. Die Inszenierung von Licht und Schatten und der damit einhergehenden Bestimmung der mal matten, mal malerischen Farben (und natürlich die sehr beliebte Nutzung der farbenfrohen HDR-Ästhetik) unterstreicht den morbiden Charakter des Verfalls. Übrigens gibt es kein Bild in schwarz-weiß, alle Farben wirken jedoch, passend, wie mit Staub überzogen.
Besonders beeindruckt bei der Lost Places Fotoausstellung hat mich das Werk „Hallway I“ von Schmöger, das ich als Startbild für diesen Blogbeitrag gewählt habe. Alleine schon wegen der Größe (geschätzt 1m x 0,80m) musste ich erst einmal einen Schritt zurückgehen, um die gewaltige Ausstrahlung der verlassenen Kirche mit der Doppelempore zu erfassen. Der Künstler hat ganz hervorragend den Verfall eingefangen, in dem er den offenen Blick auf die kaputten Balken der Empore im rechten Bildteil gewährt. Auch zeigt sein Bild den mit Schutt bedeckten Boden und die vielen Grasbüschel, die sich ihre Welt zurückerobern. Deutlich sind die Graffitis zu erkennen, die teilweise die alten Sprüche aus dem neuen Testament überdecken und im perfekten Widerspruch zum Gotteshaus stehen. Herrlich. Das Bild wirkt und fasziniert mich! Interessanter Weise gibt es das gleiche Motiv von einem anderen Fotografen noch einmal. Es ist in Sichtweite zum erwähnten Werk aufgestellt. Allerdings ist hier der Bildausschnitt ein anderer. Hier ist die Halle direkt von vorne fotografiert, die zerstörten Balken und der kaputte Boden sind nicht zu sehen, die Kirche wirkt fast schon aufgeräumt und klar. Da sieht man mal wieder, welche Rolle die Standortwahl spielt!
Als ich die Ausstellung verlasse, ist mir schon etwas mulmig zumute. Da bleiben diese Gedanken, was denn nun passiert, wenn die Zivilisation entschließt einfach zu vergessen. Und Orte, Plätze, Gegenstände aussortiert und abgeschoben werden. Dinge, die einmal wichtig waren und eine Bedeutung hatten, aber ihre Beständigkeit verwirkt haben. Keine Frage: die Ausstellung hat damit ihr Ziel erreicht, nämlich wie wichtig die Bewahrung von Orten ist, dass nicht einfach alles vorbei ist, wenn wir es bestimmen. Alles in allem wird eins klar: die Bilder sind großartig, die Inszenierung in der alten Brauerei passt hervorragend. Allerdings vermisse ich ein klein bisschen den Staub auf der Zunge. Die ausgestellten Bilder sind wahre Kunstwerke, perfekt inszeniert, es wird viel mit Licht und HDR gespielt. Perfekt.
Für mich etwas zu perfekt, zu klar strukturiert, zu aufgeräumt. Wenn ich an Lost Places denke, dann erwarte ich irgendwie etwas geheimnisvolleres, etwas, was im Dunkeln lauern könnte, was noch entdeckt werden muss. Die hier ausgestellten Bilder wirkten alle „hell“ und etwas Unerwartetes wartete nicht auf den Betrachter. Die weißen Räume der Schlegel-Brauerei mit dem schönen hellen Parkettboden unterstreichen auch nicht den morbiden Charakter mancher Motive, dafür hingegen die Ästhetik der Lost Places – und das war ja auch das Motto.
Möchtet ihr noch ein wenig mehr zum Thema UbEXPO erfahren, empfehle ich euch einen Blick auf die UrbEXPO Webseite.
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